Kasemattenführung im Spätfrühling

Die von der Vereinigung gebuchten Plätze im hinteren Wagen waren alle besetzt, als sich die Schlossbahn pünktlich um 10.40 Uhr zu ihrer einstündigen Fahrt bis zum Schloss in Bewegung setzte. Eine weibliche Stimme vom Band erläuterte uns viele Besonderheiten auf dieser Wegstrecke und zu Marburg allgemein.

Zwischenstopp am Marktplatz.
Zwischenstopp am Marktplatz.

Kurz vor 11 Uhr kam es zu einem kurzen Stopp am Marktplatz, damit die Fahrgäste 11 Mal den „Hahn krähen hören konnten“. (Marburger wissen, dass der Hahn zwar seine Flügel hebt, die Töne aber von einem Trompeter am oberen Treppengiebel erzeugt werden) Gleichzeitig konnte uns Frank M. am Marktplatz für die bevorstehende Wegstrecke mit Flüssigkeiten versorgen.

Vorbei an Häusern, in denen Martin Luther 1529 untergebracht war, und die Gebrüder Grimm, der Erfinder Papin und Lomonossow, der Namensgeber der Moskauer Universität, zeitweise gelebt haben, verließen wir das Barfüßer Tor Richtung Rotenberg. Nach einer Kehrtwende am oberen neuen Teil des Hauptfriedhofes, fuhr die Bahn den Rotenberg wieder kurz bergab, um dann in Fahrtrichtung links in die Calvinstraße einbiegen zu können. Durch den eigentlich gesperrten Sandweg hindurch – per Hand musste der Fahrer einen entsprechenden Pöller bewegen – gelangten wir schließlich am Herder-Institut vorbei in den großen Schlosshof vor dem Collegium Philippinum, einem selbstverwalteten Studentenwohnheim.

Hier erwartete uns der Ehrenvorsitzende Jörg Grunwaldt. Dazu gesellten sich noch 5 Ehemalige des Abijahrganges 1970 (dabei auch unsere Mitglieder Günter Lemmer und Horst Rieth), die sich zusammen mit Friedrich Caron-Bleiker seit gestern zu einem Jahrgangstreffen in Marburg aufhielten.

Vor dem Gebäude der camera obscura (sehenswert! – nur zu bestimmten Zeiten möglich) erläuterte uns Jörg dann die geschichtlichen Aspekte der baulichen Entwicklung des Schlosses von einer Höhenburg zum Schloss und zur Festung. Nach einem kurzen Weg in den hinteren Schlossbereich zeigte er uns die Stelle, an der die zentrale Wasserversorgung über einen Tiefbrunnen bis zum Lahnbereich mit Eimern an Seilwinden jahrhundertelang erfolgen konnte.“Ohne Wasser hätte man Belagerungen nicht lange aushalten können“.

Auf dem Weg zum Geschützturm, besser als Hexenturm bekannt, wurde noch eine Luftlinienschätzung zum Marburger Rücken hin erfragt. Konrad Bahr war mit seinen geschätzten  600 Metern bis zur Kirchspitze wohl doch der Beste!
(Ich habe aus meiner Grundausbildungszeit beim BGS in Alsfeld immer noch den Satz des Gruppenführers im Kopf: „nach 800 m kannste die Patrone mit der Mütze auffangen“ – wir „sicherten“ damals die 500 m entfernte Bahnstrecke!!)

Unterhalb des großen Geschützturmes erreichten wir einen Eingang, der über feuchte, sehr hohe Treppenstufen zu einer terrassenähnlichen Empore führte – offensichtlich die oben offene Ruine einer Kasematte mit Schießscharten im äußeren Gemäuer. Eine Kasematte ist per Definition ein vor Artilleriebeschuss geschütztes, unterirdisches Gewölbe im Festungsbau. Der Begriff stammt aus dem ital./franz./altgriech. Wortschatz für „Spalte/Erdkluft“ wie Jörg ausführte.

Hier geht's in die Tiefe.
Hier geht’s in die Tiefe.

Als Jörg dann endlich das erste Zugangstor zu den Hexenturmkasematten mit einem Spezialschlüssel öffnete, begann der „tiefe Höhepunkt“ des Tages!!

Bei großer Feuchtigkeit, und wieder über sehr hohe Treppenstufen hinweg, gelangten wir in eine intakte Kasematte. Dabei erschloss sich ein großer runder Raum, den wir  betreten konnten, nachdem wir weitere Treppenstufen herab gegangen waren. Jörg erläuterte die Arbeiten der hier agierenden „Verteidiger“ genauer und wies auf die gesundheitsschädlichen Gefahren des Schwarzpulvers hin, das bei 10 % Schwefelanteil nach der Zündung  hohe Mengen an Schwefeldioxid freisetzte – lange konnte man das nicht ertragen.

Der Besuch der Kasematten ist nur in bestimmten Jahreszeiten möglich, da die vorherrschende starke Nässe bei Kälte auch Eis bildet und damit zu noch größeren Rutschgefahren für die Besucher wird. Man kann diesen Raum allerdings auch für private Veranstaltungen/Events buchen.

Auf dem Rückweg durchquerten wir wieder die erste „Ruine“ und gelangten nach Öffnung eines weiteren Tores über Stufen in einen langen Gang. Dort konnte man schon die einsetzende Bildung von kleinen Kalksträngen, wie in Tropfsteinhöhlen, an der Decke beobachten. Am Ende erweiterte sich der Gang zu einem großen Raum mit einem Geschütz (Kanone) in der Ecke. Damit wurde unsere Vorstellungskraft für die damaligen Verhältnisse geschärft. Das Geschütz ist ein Geschenk der Partnerstadt Eisenach. Auch hier wurde auf Gefahren hingewiesen, wie Rückstoß des Geschützes, große Lärmbelästigung und Pulverdampf. Außerdem musste man warten bis das Kanonenrohr wieder abgekühlt war, bevor man wieder Schwarzpulver hineinschieben konnte. Das „Einstellen“ eines Zielobjektes war auch erst mit Vorversuchen möglich.

Der Rückweg führte über einen anderen unterirdischen Gang, so dass wir jetzt oberhalb des Hexenturmes das Tageslicht wieder erblickten.

Der Hexenturm in Marburg.
Der Hexenturm in Marburg.

Nach Berichten über das Hexenzeitalter auch in Marburg und Umgebung erhielten wir einen Einblick in die später eingebauten, 4 Gefängniszellen des Hexenturmes, die bis ins 19. Jahrhundert hinein belegt waren; zuletzt von einem Knecht namens Hilberg aus Ockershausen, der sich nicht zu einer schwangeren Magd bekennen wollte und sie später brutal erstach. Er wurde nach dem Urteil am Rabenstein geköpft. Jörg verwies auf 200 Seiten Unterlagen im Staatsarchiv, die er z. T. nachgelesen hat. Stadtführer wie Jörg haben ja auch immer noch eine Anekdote parat. So war neben dem Hilberg auch eine „liederliche Frau“ in einer Zelle untergebracht. Einer Mädchengruppe stellte er die Frage, was liederlich wohl bedeutet. Spontan antwortete ein Mädchen: „die Frau singt im Chor“!

Falls ihr es nicht wisst und nicht an unserer tollen Erkundungsreise durch die Kasematten teilgenommen habt, müsst ihr es nachlesen…und euch Gedanken machen, warum ihr euch nicht angemeldet habt!

Im Bückingsgarten, der ja auch bei schlechtem Wetter keinen Regenfall auf die Terrasse zulässt, konnten wir anschließend noch Speisen und Getränke zu uns nehmen. Es wurden herzliche Gespräche geführt.

Mit der Schlossbahn ist keiner von uns zurück gefahren.

Weitere Fotos zum Frühjahrsausflug 2016 finden Sie in dieser Galerie.

Merken

Merken

Merken

Merken

Merken

Merken

Merken

Merken